Interview. DLA Piper-Expertin Jasna Zwitter-Tehovnik über hohe Insolvenzzahlen und die richtige Reaktion der Geschäftsführung im Fall einer drohenden oder schon hereinbrechenden Pleite.
Extrajournal.Net: Sie sind auf Restrukturierungen spezialisiert. Wie wirkt sich die aktuelle Wirtschaftskrise auf das Geschäft aus?
Jasna Zwitter-Tehovnik: Das Sprichwort „Wem das Wasser bis zum Hals steht, sollte den Kopf nicht hängen lassen“ sollte uns in Österreich angesichts der aktuellen Meldungen zur längsten Rezession seit Ende des Zweiten Weltkriegs als Mutmacher dienen. Die makroökonomische Situation ist tatsächlich besorgniserregend.
Die Ursachen für diese Krise sind vielfältig und bekannt – nennen wir die wichtigsten – hohe bzw. volatile Energiepreise, Erhöhungen bei Lohn- und Lohnnebenkosten, Konflikte und geopolitische Spannungen, Unsicherheiten bei Zöllen und Tarifen. Vieles ist aber auch hausgemacht – eine Föderalismusreform und sonstige den Namen verdienende Reformen wurden nie wirklich angegangen, die Teilzeitquote ist hoch, der faktische Pensionsantritt niedrig, 2.5 Millionen Menschen sind nicht steuerpflichtig, bei Einbeziehung sonstiger Transferleistungen sind 80 Prozent der Bevölkerung Nettoempfänger, sie zahlen weniger ins System ein als sie herausbekommen.
Dramatisch ist meines Erachtens die offensichtliche Desindustrialisierung eines starken und viel Wertschöpfung generierenden Industriestandortes, das Ergebnis ist offensichtlich: Von 2022 auf 2023 stieg die Zahl der Insolvenzen um 24 Prozent. Im Ergebnis ist der Beratungsbedarf für Rechtsanwälte in diesem Bereich daher substantiell angestiegen.
Wann das Management um Hilfe rufen muss
Die wirtschaftliche Krise führt also auch zu mehr Krisen in den Unternehmen. Wann sollte die Geschäftsführung Experten zu Hilfe rufen?
Jasna Zwitter-Tehovnik: Im Gegensatz zum weit gefassten Begriff der Krise in betriebswirtschaftlicher oder organisatorischer Hinsicht, die sich in der Gefährdung des Fortbestandes des Unternehmens manifestiert, sind die rechtlichen Kriterien zur Krisenbestimmung präziser definiert.
Nach österreichischem Recht zählen dazu unter anderem der Verlust der Hälfte des Stamm- oder Grundkapitals, das Unterschreiten einer 8 Prozent Eigenmittelquote und das gleichzeitige Überschreiten der fiktiven Schuldentilgungsdauer von 15 Jahren, die im Eigenkapitalersatzgesetz und in der Restrukturierungsordnung definierten Krisenbegriffe sowie als schwerwiegendste Störungen des Wirtschaftsbetriebes die Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit.
An die unterschiedlichen Krisenkriterien knüpfen unterschiedliche Rechtsfolgen an. Bei Verlust der Hälfte des Stamm- oder Grundkapitals sind die Geschäftsführer/der Vorstand verpflichtet, die General-/Hauptversammlung einzuberufen. Vom Gesetzeszweck her soll somit eine frühzeitige Information der Gesellschafter und die Möglichkeit zur Gegensteuerung gegeben werden.
Von einer hochkritischen Lage kann, wenn positives Eigenkapital vorhanden ist, (noch) nicht gesprochen werden, doch kann sich eine derartige Krise „light“ bei fehlender Ursachenbehebung in kürzester Zeit verschärfen.
Ein weiterer gesetzlicher Handlungstrigger sind die Schwellenwerte zur Eigenmittelquote und fiktiven Schuldentilgungsdauer, die ihren Eingang in österreichisches Recht mit dem Unternehmensreorganisationsgesetz gefunden haben. Dem Gesetzesrahmen zufolge sollte nicht-insolventen Unternehmen mit Reorganisationsbedarf ein Verfahren unter gerichtlicher Aufsicht zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation angeboten werden. Durch Einführung der vorgenannten Kriterien wollte der Gesetzgeber den Reorganisationsbedarf rechtssicher quantifizieren – beide Kennzahlen lassen sich nämlich aus dem Posten des Jahresabschlusses ermitteln.
In der Praxis wurde das Reorganisationsverfahren zwar nicht angenommen, an die kumulative Über-/Unterschreitung der beiden Kriterien werden jedoch weitere Rechtsfolgen angeknüpft, nämlich eine Krise im Sinne des Eigenkapitalersatzgesetzes, eine wahrscheinliche Insolvenz im Sinne der Restrukturierungsordnung und eine Redepflicht des Abschlussprüfers. Sie sind demnach von Relevanz.
„Die Früherkennung muss funktionieren“
Die in ihren Rechtsfolgen gewichtigsten Krisen sind die insolvenzrechtliche Überschuldung und die Zahlungsunfähigkeit. Insolvenzrechtlich relevant wird eine Überschuldung, wenn das zu Liquidationswerten bewertende Vermögen zur Erfüllung der Gläubigeransprüche nicht ausreichend und die Fortbestehensprognose negativ ist. Bei Zahlungsunfähigkeit fehlt es an den Mitteln, um sämtliche fälligen Geldverbindlichkeiten abzudecken.
Sind Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung eingetreten, hat der Schuldner unverzüglich längstens aber innerhalb von 60 Tagen einen Insolvenzantrag zu stellen.
Dementsprechend ist es zunächst wichtig, dass die Früherkennung von Krisen durch das Management funktioniert. Dies ist Teil der Unternehmensführung und bedarf entsprechender Unterstützung durch operative und strategische Frühwarnsysteme. Ein professionelles Krisenmanagement erfordert, insbesondere aufgrund der oftmaligen Notwendigkeit rasch zu agieren, die Hinzuziehung externer Berater, einschließlich von Rechtsberatern, um mögliche Sanierungsmaßnahmen auf deren rechtliche Durchführbarkeit zu prüfen.
Als Geschäftsführer sollte man also rasch und sorgfältig arbeiten, wenn eine Krise kommt?
Jasna Zwitter-Tehovnik: Richtig. Wichtig ist es, als Geschäftsführer sorgfältig und fachlich einwandfrei zu agieren. Die potentielle Geschäftsführerhaftung verschärft sich in einem Krisen- bzw. Insolvenzszenario, denn in der Insolvenz reicht der Haftungsfonds zumeist nicht aus, um die Ansprüche der Insolvenzgläubiger vollständig zu befriedigen. Neben der Haftung für zivilrechtliche Ansprüche, kommen abgaben- und sozialversicherungsrechtliche Haftungen in Betracht, zudem ist auch vor strafrechtlichen Konsequenzen zu warnen.
Wer die Banken zu spät warnt, löst den Verzugsfall aus
Man sollte also – um auf die Eingangsfrage zurückzukommen – schon dann Unterstützung suchen, wenn die betriebswirtschaftliche Krise eingetreten ist, möglichst vor Eintritt der rechtlichen Krisendefinition?
Jasna Zwitter-Tehovnik: Richtig. Zunächst ist es wichtig, eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation auf Basis guter Frühwarnsysteme möglichst frühzeitig zu erkennen und umgehend zu agieren. Dazu gehört die Aufstellung eines kompetenten Krisenteams sowie professionelle Kommunikation.
Von besonderer Relevanz ist die frühzeitige und proaktive Information der kreditgewährenden Institute, um nicht bereits durch technische Versäumnisse einen Verzugsfall unter der Kreditdokumentation auszulösen. Bei frühzeitigem proaktivem Vorgehen können viele Restrukturierungen auf außergerichtlichem Weg abgeschlossen werden.
Was sind die wichtigsten Aufgaben für diese professionellen Helfer in der Krise?
Jasna Zwitter-Tehovnik: Rund um Insolvenz- und Restrukturierungsfälle stellen sich immer wieder komplexe Rechtsfragen. Wenn – wie aktuell im Fall von bekannten Insolvenzsituationen – Sanierungskredite gewährt werden, die den laufenden Betrieb sichern sollen, stellt sich beispielsweise die Frage zu deren rechtlicher Einordnung. Sind diese als Fremd- oder doch eher als Eigenkapital anzusehen? Sind diese anfechtungsfest? Wann dürfen derartige Sanierungskredite rückgeführt werden? Von praktischer Bedeutung sind diese Aspekte bei Scheitern der Sanierung und einer Folgeinsolvenz.
Der neue EU-Anlauf zur Harmonisierung des Insolvenzrechts
Wie sieht die internationale Entwicklung aus?
Jasna Zwitter-Tehovnik: Legislative Neuentwicklungen finden auch im Bereich des Restrukturierungs- und Insolvenzrechtes nunmehr auf EU-Ebene statt, allerdings ist der Harmonisierungsgrad derzeit noch punktuell. Zudem gibt es bislang kein Konzerninsolvenzrecht, Insolvenzen werden auf Einzelgesellschaftsebene abgehandelt. Auch die Konzepte der Krise und materiellen Insolvenz, so ähnlich sie auch in den einzelnen Mitgliedsstaaten definiert sein mögen, sind nicht angeglichen. Somit stehen sich im internationalen Kontext Unternehmen einer Vielzahl unterschiedlich ausgestalteter (nationaler) Verfahren gegenüber.
Ein weitere Teilharmonisierung des Insolvenzrechts ist in sieben Teilbereichen, und zwar insbesondere im Anfechtungsrecht, bei der Vermögensauffindung, und einem zweistufigen Verfahren für Unternehmensverkäufe (pre-pack) beabsichtigt.
Es wurde schon öfter gefordert, ein Insolvenzrecht der Konzerne einzuführen. Ein Konzern kann ja aus hunderten oder tausenden Gesellschaften bestehen, für die dann im Idealfall nur noch ein einziges Insolvenzverfahren geführt werden müsste. Wäre das in Ihren Augen sinnvoll?
Jasna Zwitter-Tehovnik: Es wäre natürlich von Vorteil, wenn im Fall einer konzernweiten Insolvenz nicht ein Insolvenzverfahren für jede einzelne Konzerngesellschaft geführt werden müsste, sondern nur eines für den Gesamtkonzern. Das würde tatsächlich viel bewegen. Aktuell ist das aber kein Thema – auch im aktuellen EU-Reformvorschlag wurde dieser Aspekt vollständig ausgeklammert. Ich denke, dass es sinnvoll wäre, gerade dieses Thema auf Ebene der EU und nicht eines einzelnen Staates anzugehen. Welcher Konzern ist zum Beispiel ausschließlich in einem Mitgliedsstaat tätig?
Im Interview
Jasna Zwitter-Tehovnik (NYU) ist Partnerin bei DLA Piper in Österreich und verfügt über Anwaltszulassungen in Österreich, New York, England und Wales sowie in Slowenien. Sie berät vorwiegend im Bereich Restrukturierungen, Bankrecht/Finanzierungen und Infrastrukturprojekte.