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KI und Ethik bei Binder Grösswang: Eine Frage ist am wichtigsten

Ivo Rungg, Gundula Geiginger, Sabine T. Köszegi, Erich Prem, Stefan Tiefenthaler, Walter Palmetshofer ©Binder Grösswang

Podiumsdiskussion. Wirtschaftskanzlei Binder Grösswang und die TU Wien luden zur Podiumsdiskussion „KI und Ethik“. Die wichtigste Frage entzieht sich Politik und Recht.

Binder Grösswang lud gemeinsam mit dem Center for Artificial Intelligence and Machine Learning (CAIML) der Technischen Universität Wien zur Podiumsdikussion „KI und Ethik – Was macht KI mit unserer Gesellschaft?“ in die Wiener Kanzleiräumlichkeiten.

Am Podium waren Univ.-Prof. Sabine T. Köszegi, Arbeitswissenschaftlerin, Organisationsforscherin und Institutsvorständin am Institut für Managementwissenschaften an der TU Wien, sowie Erich Prem, Gründer und Geschäftsführer der eutema GmbH und seitens Binder Grösswang Ivo Rungg, Partner und Leiter der Praxisgruppe Intellectual Property und Information Technology & Digital Law der Kanzlei. Die Moderation übernahm Gundula Geiginger von Puls 4. Vor Ort waren auch Stefan Tiefenthaler (Binder Grösswang) und Walter Palmetshofer (TU Wien).

Digitaler Humanismus gegen technokratische Machtkonzentration

Der Abend begann mit einem Impulsvortrag von Erich Prem, der ein Plädoyer für einen digitalen Humanismus hielt. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie Künstliche Intelligenz unsere Gesellschaft verändert – und wie wir diese Entwicklung aktiv gestalten können. KI, so Prem, sei längst kein Zukunftsthema mehr, sondern Teil unseres Alltags: Sie stecke in Smartphones, Fahrzeugen und Plattformen und beeinflusse, welche Informationen wir sehen, welche Entscheidungen wir treffen und welche Chancen sich uns eröffnen.

Prem warnte vor einer zunehmend „hyperindividualisierten Welt“, in der datenbasierte Systeme traditionelle Werte wie Solidarität und Fürsorge verdrängen. Am Beispiel des Versicherungswesens zeigte er, wie algorithmische Berechnungen zwar Fairness suggerieren, zugleich aber das gemeinschaftliche Prinzip der Solidarität verändern.

Besondere Aufmerksamkeit widmete Prem den ethischen Herausforderungen von Empfehlungssystemen. Diese prägen Wahrnehmung und Verhalten, ohne Verantwortung übernehmen zu können. Große Plattformen gewännen dadurch eine beispiellose Steuerungsmacht über Konsum und Information – ein Zustand, den Prem als „digitalen Merkantilismus“ bezeichnete. Daraus entstehe eine neue Form von Kontrollmacht, die Fragen nach Freiheit, Verantwortung und Fairness aufwerfe.

Auch das Recht stoße hier an seine Grenzen. Oft leben wir in einer „Zustimmungsfiktion“ – wir akzeptieren Nutzungsbedingungen, ohne wirklich zu verstehen, was sie bedeuten. Was als „ethische KI“ gilt, definierten zudem häufig jene, die sie entwickeln. So entstehe ein subtiler digitaler Normenzwang, der die Balance zwischen Autonomie und Kontrolle auf die Probe stelle.

Dennoch zeigte sich Prem optimistisch und betont, „Fortschritt muss gestaltet, nicht verweigert werden“. „Vielleicht müssen wir wieder lernen, Nein zu sagen und der Technik klare Grenzen zu setzen – damit sie dem Menschen dient und nicht umgekehrt.“ Letztendlich sei die weitere Entwicklung der Digitalisierung keine Naturgewalt, sondern werde von uns gemacht, so Prem. Die wichtigste Frage, die die Gesellschaft im Zusammenhang mit der Digitalisierung beantworten müsse, sei: Wie sieht eine erstrebenswerte digitale Zukunft aus? Ob die Menschen sich von KI & Co geknechtet fühlen oder erfolgreich ein gutes digitale Leben definieren und anstreben, liege ausschließlich bei uns. „Wir haben es in der Hand“, so Prem.

Jede dritte Arbeitsstunde könnte automatisiert werden

Auch TU-Professorin Sabine T. Köszegi betonte, dass Technologie kein Schicksal ist, sondern von uns selbst gestaltet wird. Künstliche Intelligenz bringe freilich bereits heute tiefgreifende Veränderungen für die Arbeitswelt mit sich: Studien zufolge könne künftig jede dritte Arbeitsstunde automatisiert werden – branchenübergreifend und vor allem bei standardisierbaren Tätigkeiten. Gleichzeitig steige der Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften.

Köszegi warnte, dass der Wegfall klassischer Einstiegstätigkeiten („Early Entry Jobs“) gesellschaftliche Folgen haben werde. „Die Digitalisierung bringt nicht nur Effizienz, sondern auch soziale Herausforderungen“, so Köszegi: „Die Einkommensschere droht sich zu vergrößern – dem müssen wir mit gezielter Vorsorge und Qualifizierung begegnen.“

Zugleich hob sie die Bedeutung menschlicher Kompetenzen hervor: „Alles, was sozialen Kontakt, Empathie und Kreativität erfordert, wird weiterhin wichtig bleiben.“ Aber analytisches und problemlösendes Denken müsse gezielter trainiert werden, um Innovationskraft zu sichern. Es zeigt sich zunehmend, dass der Mensch kognitive Prozesse immer häufiger an technische Hilfsmittel auslagert. Ein Phänomen, das als kognitives Offloading bezeichnet wird. Diese Entlastung hat einerseits Vorteile, führt aber zugleich dazu, dass zentrale Denkfähigkeiten weniger trainiert werden.

Umso wichtiger sei es, Technologien aktiv, transparent und werteorientiert zu gestalten. „Fortschritt darf nicht Selbstzweck sein“, betonte Köszegi. Entscheidend sei, die Chancen der digitalen Transformation im Sinne des Menschen zu nutzen – für eine Zukunft, in der Innovation und Ethik im Einklang stehen.

Europa hat zu lange zugeschaut

Auf die Frage nach Bias in KI-Systemen betonte Prem, dass künstliche Intelligenz immer nur aus den Daten der Vergangenheit lernt und keine Visionen entwickeln könne, wie es der Mensch vermag. „Fairness ist keine mathematische, sondern eine gesellschaftliche Frage“, so Prem. KI werfe Fragen auf, die wir als Gesellschaft erst aushandeln müssten. Europa habe dabei zu lange zugeschaut, die Umsetzung gesetzlicher Rahmenbedingungen verlaufe noch zu langsam, und auch geopolitische Dynamiken spielen eine zentrale Rolle.

Binder Grösswang-Anwalt und Partner Ivo Rungg betonte, dass KI-Kompetenz ein zentraler Schlüssel für ethisches Handeln und gesellschaftliche Verantwortung ist. Die ethische Diskussion lasse sich nicht allein rechtlich lösen – auch nicht durch den AI-Act der EU. Entscheidend sei, dass Unternehmen und Gesellschaft besser verstehen, wie KI funktioniert und welche Entscheidungen Algorithmen vorbereiten. Regierungen müssten daher stärker in digitale Bildung und Aufklärung investieren, um die Fähigkeit zur kritischen Reflexion zu fördern.

Mit Blick auf den Datenschutz verwies Rungg auf die Herausforderungen durch die Verarbeitung großer Datenmengen. Diese beträfen nicht nur internationale Plattformen, sondern zunehmend auch Unternehmen anderer Branchen, da viele KI-Modelle in der Anwendung auf personenbezogene und eine Vielzahl anderer Daten zugreifen können. Dadurch entstünden komplexe rechtliche Fragen – etwa in Bezug auf DSGVO, Urheberrecht und Geschäftsgeheimnisse, die ohne entsprechendes Wissen zu dem Training und der Architektur der Modelle für viele Organisationen schwer zu überblicken seien. „KI-Modelle sind oft vortrainiert und schwer nachvollziehbar – das Bewusstsein für den Wert von Daten muss in Österreich noch wachsen“, betonte er.

Mit der DSGVO erfolgreich internationale Maßstäbe gesetzt

Auch auf internationaler Ebene sieht Rungg Handlungsbedarf. Große KI-Modelle stammen vorwiegend aus den USA und China, was europäischen Anwendern zusätzlichen Druck auferlege. Gleichzeitig könne Europa mit der klugen, rechtlich und ethisch vertretbaren Nutzung seiner Daten und seiner Regulierung zur Schaffung einer vertrauenswürdigen KI eine Vorreiterrolle übernehmen. „Mit der DSGVO ist es der EU gelungen, internationale Maßstäbe für Datenschutz zu setzen. Auch bei Künstlicher Intelligenz brauchen wir langfristig einen weltweiten Mindeststandard“, so Rungg.

Fazit des Abends: Die Diskussion machte deutlich, dass Künstliche Intelligenz weit über technische Fragen hinausgeht – sie verändert Arbeit, Gesellschaft und Recht gleichermaßen, heißt es in einer Aussendung von Binder Grösswang. Die Herausforderungen reichen von rechtlichen Fragen, wie Haftung, Datenschutz und geistigem Eigentum über ethische Verantwortung bis hin zur Gestaltung einer menschzentrierten digitalen Transformation.

Entscheidend werde sein, klare Leitlinien zu entwickeln, die Innovation fördern und zugleich grundlegende Werte schützen. KI sei nicht nur ein technologisches, sondern vor allem auch ein gesellschaftliches und ethisches Thema – mit unmittelbarer Relevanz für Praxis, Politik, Recht und Forschung. Die Diskutanten zeigten sich zuversichtlich, dass Europa durch klare Rahmenbedingungen, hohe ethische Standards und gezielte Kompetenzförderung eine starke, verantwortungsvolle Position im globalen KI-Wettbewerb einnehmen könne.

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