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Recht

Justiz-Volksbegehren im Parlament: Eine Forderung hat Chancen

Parlament ©Parlamentsdirektion / Hertha Hurnaus

Wien. Das Justiz-Volksbegehren hat 143.217 Unterschriften erzielt. Mit seinen Forderungen stößt es aber im Parlament bei Experten wie Parteien auf Ablehnung – mit einer Ausnahme.

Für die Sicherstellung einer unabhängigen Justiz in Österreich machen sich in dem Volksbegehren 143.217 Wahlberechtigte stark, so die Parlamentskorrespondenz: Der Justizausschuss des Nationalrats hielt vergangene Woche dazu ein Expertenhearing ab.

Die Forderungen

Das Volksbegehren hat drei Hauptforderungen:

  • Zur Gewährleistung politisch unbeeinflusster Strafverfahren wird im Volksbegehren konkret gefordert, die 2008 abgeschafften Untersuchungsrichter:innen wieder einzusetzen.
  • Weiters wird eine Aufnahme der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in die Verfassung eingemahnt.
  • Außerdem wird die Einrichtung einer von Kontinuität gekennzeichneten Bundes- bzw. Generalstaatsanwaltschaft gefordert. Deren personelle Unabhängigkeit sei schon im Bestellungsverfahren maßgeblich. Letztere habe dem Parlament gegenüber verantwortlich zu sein, allerdings nur hinsichtlich Auskünften über bereits abgeschlossene Verfahren. Dadurch soll bereits dem Anschein politischer Einflussnahme auf laufende Ermittlungen entgegengewirkt werden, so die Erläuterung.

Poliitischer Einfluss und das Ansehen der Justiz

Nachdem eine unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft bereits länger gefordert werde, sprach sich der Bevollmächtigte des Volksbegehrens Marcus Hohenecker (er ist auch Mitinitiator weiterer Volkbegehren und hat als Anwalt im im Zusammenhang mit der Google Fonts-„Abmahnwelle“ bekanntlich für viel Aufsehen gesorgt) dafür aus, einen politischen Kompromiss zu finden, um die Unabhängigkeit der Justiz zu fördern. Als einer der Stellvertreter des Volksbegehrens wies Anatolij Volk aus seiner Sicht auf permanente Debatten dazu hin, dass politischer Einfluss auf die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung zerstöre und der Demokratie schade.

Neben der Forderung nach einer Einführung einer unabhängigen Generalstaatsanwaltschaft hob er aus dem Volksbegehren den Vorstoß zur Wiedereinführung der Untersuchungsrichter:innen sowie jenen, die WKStA in die Verfassung zu heben, hervor. Er appellierte an die Abgeordneten, die Forderungen nach einer unabhängigen Justiz ernst zu nehmen. Darüber hinaus gelte es etwa, Volksbegehren und deren Forderungen grundsätzlich verbindlich zu machen, so Volk.

Mehr Unabhängigkeit für die Staatsanwälte

Als wichtiges Anliegen hob die grüne Justizministerin Alma Zadić aus dem Volksbegehren das Thema einer politisch unabhängigen und weisungsfreien General- bzw. Bundesstaatsanwaltschaft hervor. Dieses Anliegen sollte sich dann auch in den Statements der Experten wie der Parteien als noch am ehesten konsensfähig erweisen, wobei die Kluft quer durch die Regierungskoalition ging: Während bei der ÖVP wenig Begeisterung herrschte, war ihr grüner Regierungspartner ebenso dafür wie die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS – wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung.

Die Justizministerin verwies dazu auf den Bericht einer dazu eingesetzten Arbeitsgruppe, aber auch auf Systeme anderer Länder, die sich hin zu einer Weisungsspitze „weg von der Politik“ bewegen würden. Sie halte dabei an der Spitze der Staatsanwaltschaft einen Senat für die richtige Lösung – andere Fragen wie etwa zur parlamentarischen Kontrolle brauchen ihr zufolge einen breiten Diskurs, um dann einen Konsens zu finden.

In der aktuelle Legislaturperiode seien darüber hinaus viele Schritte gesetzt worden, um die Justiz abzusichern, betonte Zadić. Unmittelbar reagiert worden sei zudem etwa auf Verdachtsmomente der zumindest versuchten politischen Einflussnahme der Politik, indem eine Untersuchungskommission einberufen worden sei.

Was die Experten sagen

Strafrechtsexperte Peter Lewisch ortet in den Forderungen des Volksbegehrens zumindest Anlass für weitere Diskussionen. Mit einem Bundesstaatsanwalt bekomme man aus seiner Sicht das Thema des politischen Einflusses auf die Bestellung nicht weg, mache diesen aber weniger transparent und verdünne die politische Verantwortung. Außerdem stelle sich die Frage, wie groß der Mehrwert sei, hält Lewisch das Thema aus dieser Sicht für überschätzt.

Unterschätzt werde das Thema aus seiner Sicht insofern, als dass unter einem System, das etwaig in die Richtung einer quasi judiziellen Selbstverwaltung mit geringen Aufsichts- und Kontrollrechten gehe, die judizielle und staatsanwaltliche Effizienz leiden würde. Zu hinterfragen sei aus seiner Sicht auch der Ansatz, die Verantwortlichkeit des Parlaments nur auf abgeschlossene Strafverfahren zu begrenzen. Die Wiedereinführung von Untersuchungsrichter:innen würde Lewisch als „Radikalreform“ erachten und empfehle sich daher nicht. Was die Forderung einer Verankerung der WKStA in der Verfassung betrifft, passe das aus seiner Sicht von den verfassungsrechtlichen Strukturen her nicht.

Mehrfaches Nein zu den Untersuchungsrichtern

Für ein klares Nein zur Wiedereinführung der Untersuchungsrichter:innen sprach sich aus grundrechtlicher Sicht Verfassungsjurist Heinz Mayer aus, zumal mit der jetzigen Trennung betreffend grundrechtliche Eingriffe und Genehmigung durch Richter:innen ein besserer Rechtsschutz gegeben sei. Auch der Forderung, die WKStA als einzelne Staatsanwaltschaft in die Verfassung zu schreiben, sollte man aus seiner Sicht nicht nahetreten.

Als wichtigen Punkt bezeichnete Mayer hingegen eine Ausgestaltung der Staatsanwaltschaften unabhängig und weisungsfrei ähnlich wie jene der Gerichte. Die Staatsanwaltschaften seien Organe, die zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören. Hier sollten Senate die oberste Instanz sein und ausschließlich der Kontrolle durch Gerichte unterliegen, ebenso wie für laufende Verfahren, die nicht der parlamentarischen Kontrolle unterliegen sollten. An dem Weg, Senate einzurichten, sollte kein Weg vorbeiführen, so Mayer, der sich außerdem gegen eine parlamentarische Bestellung der Staatsanwält:innen aussprach, da das unweigerlich zu Politisierung führen würde.

Der Profi will den Bundesstaatsanwalt

Ablehnend zur Wiedereinführung der Untersuchungsrichter:innen zeigte sich auch Walter Geyer, ehemaliger Chef der Korruptionsstaatsanwaltschaft, im Hinblick auf die nunmehrige Rechtsschutzfunktion durch Richter:innen. Ein:e Untersuchungsrichter:in habe sich demgegenüber selbst kontrolliert. Auch die Forderung, die WKStA in die Verfassung aufzunehmen, könne er nicht unterstützen, zumal die Verfassung das rechtliche Fundament und Grundsätze, aber keine Detailregelungen beinhalte.

Befürwortet werde aus seiner Sicht hingegen immer mehr die Einführung eines Bundesstaatsanwalts, wobei man nicht intensiv genug diskutieren könne, wie dieser ausgestaltet werden sollte. Die genannte Arbeitsgruppe habe aus seiner Sicht ein taugliches Ergebnis geliefert, etwa im Hinblick auf möglichst wenig politischen Einfluss bei der Bestellung, dass das Parlament keinen Einfluss auf laufende Verfahren haben dürfe und dass Entscheidungen in Einzelstrafstachen durch ein Drei-Richter-Gremium getroffen werden sollen. Letzteres sei ein wesentlicher Punkt und führe gegenüber Einzelentscheidungen zu einer Qualitätsverbesserung und zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Europäische Staatsanwaltschaft stelle aus seiner Sicht ein erfolgreiches Referenzmodell zu diesem Thema dar, so Geyer.

Die Sicht des Anwalts

Was das Thema einer Wiedereinführung von Untersuchungsrichter:innen betrifft, haben sowohl das alte als auch das neue Systeme Vor- und Nachteile, meinte Michael Rohregger, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Wirtschaftsstrafrecht und Verfassungsrecht. Eine Rückkehr wäre aber mit gravierenden Änderungen wie etwa einer umfassenden Neuorganisation verbunden. Er sehe keine entsprechend gravierenden Defizite, die eine Wiedereinführung erforderlich machen würden.

Was eine Verankerung des Zuständigkeitsbereichs der WKStA in der Verfassung betrifft, hält er einen solchen Schritt weder für notwendig noch für sinnvoll. Als Organe seien die Staatsanwaltschaften ohnedies bereits in der Verfassung verankert. Zum Thema eines Bundesstaatsanwalts gestalte sich die Antwort nicht einfach, so Rohregger. Er sehe hier weiterhin Bedarf für einen längeren Überlegungsprozess. So würde man mit einer unabhängigen Weisungsspitze aus seiner Sicht von einem fundamentalen Verfassungsprinzip abweichen und müsse gut überlegen, wie man das mit Detailregelungen absichere. Zudem würden Probleme damit nur auf eine andere Ebene verlagert, etwa, wenn Personen eine bestimmte politische Agenda haben. Außerdem gebe es in anderen Punkten – wie etwa bei langen Verfahrensdauern – viel dringenderen Handlungsbedarf als auf Ebene der Weisungsspitze, wiewohl die Unabhängigkeit der Justiz insgesamt ein bedeutendes Thema sei.

Die Positionen der Abgeordneten

In der anschließenden Debatte führte Klaus Fürlinger (ÖVP) aus, dass die Forderungen des Volksbegehrens nicht mit dem demokratischen Prinzip in Einklang zu bringen seien. Im Rahmen seiner Tätigkeit als praktizierender Anwalt habe er die diskutierten Probleme nicht wahrgenommen. Eine Verfassungsverankerung der WKStA würde lediglich eine Bestandsgarantie, aber keine Organisationsverbesserung bringen, betonte Corinna Scharzenberger (ÖVP). Demnach finde die Verankerung fraktionsübergreifend keine Zustimmung.

„Nein, wir drehen nicht die Zeit zurück“, lautete die Haltung der SPÖ zur Wiedereinführung von Untersuchungsrichter:innen. Selma Yildirim (SPÖ) hielt auch die geforderte Verfassungsverankerung der WKStA für „keinen gangbaren Weg“. Die Bundesstaatsanwaltschaft hingegen sei eine langjährige Forderung der SPÖ und unbedingt notwendig. Muna Duzdar (SPÖ) bestärkte, dass niemand in das alte System mit Untersuchungsrichter:innen zurückkehren möchte, da es sich um ein defizitäres System gehandelt habe. Duzdar erkannte aber strukturelle Probleme wie lange Verfahrensdauern, die eingeschränkte Erreichbarkeit der Gerichte und fehlende Dolmetscher:innen.

Die WKStA in der Verfassung zu verankern hielt auch Harald Stefan (FPÖ) für eine falsche Forderung. In Bezug auf die Bundesstaatsanwaltschaft hielt er fest, geteilte Verantwortung sei keine Verantwortung. Daher sprach er sich gegen ein Kollegialorgan aus. Es gelte die Objektivität von Besetzungen sicherzustellen, so Christian Ragger (FPÖ).

Forderungen, die sich ausschließen?

Die Forderungen des Volksbegehrens könnten nicht gemeinsam erfüllt werden, unterstrich Agnes Sirkka Prammer (Grüne). Ihrer Meinung nach schließen sich diese gegenseitig aus. Prammer hinterfragte die Priorisierungen der Proponenten des Volksbegehrens und wie die Forderungen zueinander stehen. Auch die Grünen sprachen sich gegen die Absicherung einer einzelnen Behörde in der Verfassung aus. Durch die geplante Schaffung einer Generalstaatsanwaltschaft werde jedenfalls die Unabhängigkeit der Justiz gestärkt, war Prammer überzeugt. „Wieviel Unabhängigkeit funktioniert?“, wandte sich Ulrike Fischer (Grüne) an die Experten.

Die drei Forderungen des Volksbegehrens seien nicht konsistent bzw. nicht mit dem System der Verfassung vereinbar, meinte Johannes Margreiter (NEOS). Von den Experten wollte er wissen, wie eine unabhängige Justiz gesichert werden könne. Margreiter wandte sich zudem an Rohregger und Lewisch mit Fragen zum Systemwechsel im Jahr 2008. Dabei interessierte er sich insbesondere dafür, ob dadurch Defizite wahrgenommen wurden. Er selbst habe keinen Verlust an Rechtsschutz feststellen können.

„Es geht nur um wenige Fälle“

Der Kern der Diskussion beschränke sich auf eine sehr geringe Zahl an Verfahren mit politischem Interesse, kamen Geyer und Rohregger in der weiteren Debatte überein. Der Normalbetrieb bei Gerichten und Staatsanwaltschaft funktioniere gut, sah Geyer diesbezüglich keinen Änderungsbedarf.

Wirtschafts- und Korruptionsdelikte hätten seit 2008 enorm zugenommen, führte Rohregger auf die Frage der NEOS aus. Damals seien organisatorische Themen im Vordergrund gestanden. Die Frage, ob ein Untersuchungsrichter eine stärkere Unabhängigkeit bringen würde, bejahte Rohregger in formaler Hinsicht. Dort, wo dies in der Praxis eine Rolle spiele, sei die Lösung auf anderer Ebene zu suchen, lautete die Einschätzung des Experten.

Lewisch vertrat die Position, Staatsanwält:innen sind und sollen nicht weisungsfrei sein. Die Weisungsspitze sei jetzt schon unabhängig, verwies er auf die Ministerin. Verbesserungsmöglichkeiten gebe es aus Sicht von Lewisch beim Casemanagement und bei der Anfangsverdachtsprüfung. Demgegenüber sprach sich Mayer dafür aus, die Unabhängigkeit der Staatsanwält:innen gleich wie jene der Richter:innen zu sichern. Die Spitze der Staatsanwaltschaft habe weisungsfrei zu sein, hielt er Lewisch entgegen. Ein Bericht über die Beratungen zum Volksbegehren wird dem Nationalrat zur weiteren Behandlung vorgelegt. (Parlamentskorrespondenz/red)

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