Roundtable-Gespräch. Vor 175 Jahren läutete eine Revolution in Wien den modernen Parlamentarismus ein. Ein Roundtable im Hohen Haus befasste sich jetzt damit.
Vor 175 Jahren läutete also eine Revolution den Beginn des modernen Parlamentarismus in Österreich ein, schildert die Parlamentskorrespondenz: Im Zuge der „Märzrevolution“ 1848 legte der damalige Staatskanzler Metternich sein Amt zurück, Kaiser Ferdinand I. bewilligte Pressefreiheit und versprach eine parlamentarische Verfassung, die bereits kurze Zeit später – im April 1848 – erlassen wurde. Am 22. Juli trat der Reichstag, die erste gewählte Volksvertretung, zum ersten Mal zusammen.
Eine kurzlebige Revolution mit Folgen
Aus Anlass des 175-jährigen Jubiläums lud die Parlamentsdirektion in Kooperation mit dem Wiener Stadt- und Landesarchiv zu einem Round-Table-Gespräch ins Parlament, das auch den Startschuss für eine neue Veranstaltungsreihe des Parlamentsarchivs unter dem Titel „Parlament und Demokratie – gestern und heute“ bildete. Im Mittelpunkt der Diskussion standen Problemlagen, die 1848 – oft zum ersten Mal – öffentlich verhandelt wurden. Es ging um Demokratie, die Verfassung und die soziale Ordnung.
Zwar endete die Revolution schließlich blutig und der Reichstag wurde bereits im März 1849 – noch vor Beschluss eines Verfassungsentwurfs – wieder aufgelöst, dennoch hinterließ dieser mit der „Befreiung“ der Bauern aus dem bis dahin geltenden „Untertänigkeitsverhältnis“ ein bleibendes Vermächtnis.
Welche Nachwirkungen die Revolution sonst noch hatte und ob bzw. inwieweit ihre Bedeutung in Österreich unterschätzt wird, darüber diskutierten unter der Moderation von Christoph Konrath (Parlamentsdirektion):
- die Historiker:innen Franz Leander Fillafer und Birgitta Bader-Zaar
- Politikwissenschaftler Fabio Wolkenstein
- Wirtschaftshistoriker Clemens Jobst
Fillafer: Revolution von 1848 hat viele Entwicklungen beeinflusst
Für Franz Leander Fillafer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), ist es jedenfalls unverständlich, dass die Revolution des Jahres 1848 für Österreich „so etwas Fernes ist“ und auch in der Wissenschaft ein wenig ein „Aschenbrödel-Dasein“ fristet. Immerhin habe es sich damals um den erstmaligen Versuch gehandelt, einen multinationalen und multireligiösen Verfassungsstaat zu schaffen, sagte er.
Auch sei die Revolution in Österreich kein „Wurmfortsatz“ der deutschen Revolution gewesen, wie es des Öfteren beschrieben werde. Es habe eine kritische Masse gegeben, die die Revolution getragen habe. Dass die Revolution landläufig als gescheitert betrachtet wird, hat nach Ansicht von Fillafer auch damit zu tun, dass sie in den Nachfolgestaaten der Monarchie als Vorbote des Zerfalls der Monarchie darstellt werde, dabei habe sie viele weitere Entwicklungen – etwa den Rechtspositivismus – beeinflusst. Es gebe etliche Punkte, wo man die Forschung vertiefen müsste, so der Historiker.
Kein Meilenstein der Ideengeschichte
Ideengeschichtlich spielt die Revolution von 1848 nach Meinung von Fabio Wolkenstein, Inhaber einer Tenure Track Professur am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien für den Bereich „Transformationen der Demokratie“, allerdings nur „eine recht kleine Rolle“. Das zeige sich auch daran, dass es kaum „kanonische Texte“ aus dieser Zeit gebe, meinte er.
Wesentlich bedeutsamer seien die französische und die amerikanische Revolution gewesen. Von 1848 sei im Sinne politischer Ideengeschichte nicht viel geblieben. Er wolle aber nicht abstreiten, dass die Ereignisse von 1848 ein wichtiger Impulsgeber gewesen seien, betonte Wolkenstein. Schließlich hätten die damals losgetretenen Entwicklungen neue Realitäten geschaffen, die wiederum Innovationen hervorgebracht haben.
Erhebliche Einschränkungen beim Wahlrecht
Birgitta Bader-Zaar, Assistenzprofessorin am Institut für Geschichte der Universität Wien, gab zu bedenken, dass die Mitbestimmungsrechte, die damals gefordert wurden, nicht mit dem heutigen Demokratiebegriff vergleichbar seien. 1848 sei Demokratie für viele noch ein Negativbegriff gewesen, Volksherrschaft als anarchistisches Herrschaftssystem verstanden worden. So sei auch von jenen, die die Revolution getragen haben, intensiv darüber diskutiert worden, wer überhaupt wahlberechtigt sein soll. Besitz und Bildung hätten eine wesentliche Rolle gespielt, arme Menschen seien grundsätzlich als nicht wahlfähig – weil beeinflussbar und korrumpierbar – beurteilt worden.
Ziel der Einschränkungen beim Wahlrecht sei es insbesondere gewesen, die Arbeiterschaft und die Dienstboten auszugrenzen. Demgegenüber sei das städtische Bürgertum bei den Mandaten deutlich bevorzugt worden. Dennoch ist Bader-Zaar zufolge „einiges von 1848 mitgenommen worden“, wobei sie etwa auf die spätere Einführung der Selbstverwaltung der Gemeinden und interessensgeleitete Zusammenschlüsse verwies.
Keine unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen
In der wirtschaftshistorischen Forschung hat das Revolutionsjahr 1848 laut Clemens Jobst, Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, keine besondere Bedeutung. Das Jahr falle in eine Zeit der grundlegenden Modernisierung der Gesellschaft und der Verlagerung von der Landwirtschaft zur Industrie, ohne jedoch hervorzustechen, erklärte er. Die Entwicklung sei ab den 1820er-Jahren graduell verlaufen, im Revolutionsjahr und in den Jahren danach habe es – trotz der Aufhebung der „Untertänigkeit“ – keine merklichen Veränderungen gegeben. Die Landwirtschaft sei vor und nach 1848 relativ schwach gewachsen.
Vielleicht habe 1848 trotzdem eine größere Bedeutung gehabt, als es die Zahlenreihen vermuten ließen, meinte Jobst und verwies etwa auf die Einführung der Handelskammer als Interessenvertretung sowie auf die Entstehung von Banken in den 1850er-Jahren und die Gründung von Aktiengesellschaften.
Keine „Revolutions aus dem Nichts“
Dass die Revolution genau im Jahr 1848 in vielen Ländern Europas ausbrach, könnte nach Einschätzung von Jobst nicht zuletzt auf erheblich steigende Lebensmittelpreise durch Missernten und den damit verbundenen Rückgang der Nachfrage nach Industriegütern zurückzuführen sein.
Die Revolution sei „nicht aus dem Nichts gekommen“ und sei mit der Auflösung des Reichstags auch nicht zu Ende gewesen, hatte zuvor schon Karin Schneider vom Parlamentsarchiv in ihren einleitenden Worten festgehalten. Ihrer Einschätzung nach haben die damaligen Ereignisse nichts von ihrer Aktualität verloren. Allerdings sei das Jahr 1848 in politischen Debatten in anderen europäischen Staaten viel stärker präsent als in Österreich, gab Moderator Christoph Konrath von der Parlamentsdirektion zu bedenken. Die Revolution scheine sehr weit weg zu sein, obwohl sie Österreich stark geprägt habe.
Wissensplattform „Wien Geschichte Wiki“
Christoph Sonnlechner vom Wiener Stadt- und Landesarchiv nutzte die Veranstaltung, um „Wien Geschichte Wiki“, die historische Wissensplattform der Stadt Wien vorzustellen. Dort seien mittlerweile nicht nur knapp 50.000 Beiträge abrufbar, regelmäßig würden auch Themenschwerpunkte angeboten, aktuell etwa zur Revolution von 1848, skizzierte er. Dabei gehe es weniger um die Revolution selbst als vor allem auch um das, was aus der Revolution erwachsen sei.
Immerhin gehe etwa der Wiener Gemeinderat auf die Revolution zurück. Man habe sich außerdem bemüht, Quellen aufzuarbeiten, die noch keinen Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden hätten, schilderte Sonnlechner. So sei etwa aus vorhandenen Schadensprotokollen aus dem Jahr 1848 eine interaktive Karte erstellt worden. Mit der Plattform will man ihm zufolge niederschwellige Informationen für interessierte Bürger:innen anbieten.