Digitalisierung. Österreichs Anwaltskammer will einen eigenen abhörsicheren Kommunikationskanal zwischen Anwalt und Klient schaffen, sagt ihr neuer IT-Vorsitzender Mathias Preuschl. Auch zu weiteren Digitalisierungs-Trends findet er klare Worte.
Mathias Preuschl, Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei PHH, wurde vor kurzem zum neuen Vorsitzenden des Arbeitskreises „IT & Organisation“ bei der Rechtsanwaltskammer (ÖRAK) gewählt: Er ist u.a. auf IT- und Cybercrime spezialisiert und beschäftigt sich im Rahmen der Kammer seit 2009 mit der IT-Thematik.
So groß die Veränderungen in den letzten Jahren bereits waren, die die Digitalisierung für die Anwälte und generell die Rechtsberufe gebracht hat, so bedeutsame weitere Entwicklungen sind derzeit im Gange, sagt Preuschl im Interview mit Extrajournal.Net: Diesen Prozess konstruktiv zu überwachen und zu begleiten sieht er als seine Aufgabe an: „Die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern sich langsamer als die Digitalisierung fortschreitet.“
Die große Herausforderung
Dabei gehe es einerseits um Rechtssicherheit in der digitalen Arbeitswelt der Anwältinnen und Anwälte und generell den sicheren Umgang mit Daten. Entsprechend hat sich die Tätigkeit der IT-Arbeitsgruppe der Anwälte gewandelt.
Die Anwälte und die Informationstechnik (IT), das ist eine Historie, die Preuschl in drei große Zeitalter gliedert: So gab es anfangs einen „Arbeitskreis EDV & Organisation“, der den Einzug der Elektronischen Datenverarbeitung in den Anwaltsberuf begleitete und dabei auch die Anfänge des elektronischen Rechtsverkehrs entsprechend mitentwickelte.
In der zweiten Phase, die etwa um 2015 begann, war der elektronische Rechtsverkehr in Österreich bereits weit entwickelt – im Gegensatz zu Deutschland, wo das elektronische Anwaltspostfach derzeit noch mit heftigen Geburtswehen kämpft. Die österreichische Rechtsanwaltskammer benannte ihr Fachteam in „Arbeitskreis IT“ um und widmete sich ab 2015/2016 vor allem der aktuellen Causa Prima des IT-Rechts: Dem bevorstehenden Start der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung, der DSGVO. Für das immer schwierigere Thema Datenschutz gibt es mittlerweile auch eine eigene Subgruppe.
2018 nun hat Österreich auch den Start der DSGVO überstanden und die Arbeitsgruppe wird einen neuen Namen erhalten: Wie „IT & Legal Tech“ schon sagt, sind die Aufgaben die Begleitung der weiteren Digitalisierung in den nächsten 15 bis 20 Jahren.
Was ist zu tun?
Ein großes Anliegen ist den österreichischen Rechtsanwälten die sichere Kommunikation mit ihren Klienten: Sie unterliegen bekanntlich der Verschwiegenheitspflicht, was sich auch auf E-Mails & Co erstreckt – doch in der heutigen Zeit immer schwerer zu verteidigen ist. Der Trend geht nicht nur international in Richtung mehr Überwachung, auch in Österreich sollen die Behörden leichteren Zugriff auf Kommunikationsdaten erhalten.
Zwar ist der Datenverkehr der Anwälte rechtlich geschützt – doch in der Praxis hilft das wenig, wenn ein Klient beispielsweise einen US-Anbieter für seine E-Mails verwendet, oder wenn eine Behörde beim massenhaften Belauschen des Datenverkehrs auch privilegierte Anwaltskommunikation mitschneidet.
Ein sicherer Kommunikationskanal zum Anwalt
Daher will die Rechtsanwaltskammer (ÖRAK) entweder selbst oder über ein beauftragtes Unternehmen eine Form der sicheren Kommunikation zu den Mandanten schaffen, sagt Preuschl: Damit soll der zunehmenden Gefährdung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht durch die vielfältigen Einblicks- und Durchsuchungsrechte der Behörden heutzutage entgegengewirkt werden.
„Es geht darum, die rechtlichen und technischen Voraussetzungen für sichere Kommunikation zu schaffen. Jeder weiss ja heutzutage, dass eine E-Mail nicht sicher ist“, sagt Preuschl. Man könne sich diese Lösung als eine Verbindung über eine – selbstverständlich in Österreich angesiedelte – Cloud vorstellen, die sowohl Nachrichten wie auch Dokumente zwischen Anwalt und Klient transportiert.
In Österreich angesiedelt deshalb, weil man woanders die erforderliche Sicherheit einfach nicht garantieren könne, so Preuschl, der gerade noch in Nachbarländern wie Deutschland ein ausreichendes Schutzniveau für gegeben hält. Desto weiter weg, desto schwieriger wird die Situation – so werden in den USA Daten schon beim Überschreiten der Grenze das erste Mal von den Geheimdiensten gescannt, und danach noch mehrfach, wie Datenschutzexperten kritisch anmerken.
Doch man braucht gar nicht über die EU-Grenzen zu blicken: In Frankreich herrscht derzeit nach den Terrorangriffen bekanntlich immer noch Ausnahmezustand mit weitreichenden Befugnissen für die Sicherheitsbehörden, Polen steht wegen Gefährdung der Unabhängigkeit der Justiz im Visier der EU, und Großbritannien geht durch den Brexit ohnehin einen eigenen Weg.
Daher wollen Österreichs Rechtsanwälte demnächst eine inländische Lösung präsentieren, wobei die Rechtsanwaltskammer entweder selbst als Dienstleister auftreten oder die Anwälte gegenüber dem gewählten Dienstleister vertreten wird, sagt Preuschl.
Legal Tech auf dem Prüfstand
Ein weiteres großes Thema für den frischgebackenen IT-Chef der Anwälte sind die neuen digitalen Instrumente für die anwaltliche Arbeit – Stichwort Legal Tech. Das anwaltliche Umfeld wird sich durch Legal Tech ändern, soviel ist absehbar. „Doch nicht jede Vision wird eintreffen“, stellt Preuschl klar. Welche der inzwischen zahlreichen Initiativen – manche sind schon mit teilweise recht starken Anbietern auf dem Markt erhältlich – sich durchsetzen wird, sei noch offen.
Dazu zählen erstens die eher klassischen Legal Tech-Angebote, die grundsätzlich in die Richtung einer Art Suchmaschine im weiteren Sinn gehen. Das können Rechtsdatenbanken sein, interaktive Textsammlungen usw. Die Arbeitsgruppe der Anwaltskammer werde einen Blick darauf werfen, was es am Markt bereits gibt und was noch kommen kann.
Empfehlungen, stellt Preuschl klar, „dürfen wir nicht abgeben. Auch eine Anwaltskammer unterliegt dem Wettbewerbsrecht.“ Aber Hilfestellungen zur besseren Übersicht auf dem immer vielfältiger werdenden Legal Tech-Markt dürfen sich die Anwälte von ihrer Kammer wohl erwarten.
Angriff der Robo-Anwälte?
Die zweite Gruppe an Legal Tech-Anwendungen ist innovativer – und umstrittener. Es handelt sich um jene Lösungen, die von der Grundidee her „anwaltliche Arbeit ersetzen“ wollen, so Preuschl: „Es wird auch darauf ankommen, diese Lösungen aus standespolitischer Sicht zu betrachten.“ Die grundsätzliche Frage sei nämlich: Wer gibt den Rechtsrat?
„Es geht um Qualitätssicherung, es geht um die Haftung für Beratungsfehler, und es geht auch um das gesetzlich verankerte Beratungsprivileg der Anwälte“, sagt Preuschl. Und damit seien noch gar nicht alle problematischen Punkte aufgezählt.
Ein Beispiel: Selbst wenn Anwälte hinter einem neuen Legal Tech-Instrument stehen, müssen sie sich immer noch an einige Regeln halten, die für alle anwaltlichen Beratungssituationen gelten. So ist sowohl die Prüfung der Geldwäschegefahr vorgeschrieben wie ein „conflict check“: Der Anwalt darf nicht unversehens einem User einen Rat geben, den dieser dann gegen einen bereits bestehenden Klienten des Anwalts einsetzt.
Um zu vermeiden, unabsichtlich sowohl einem Klienten wie dessen Gegner einen Rat zu erteilen, sind Prüfungen erforderlich, bei denen es zweifelhaft sei, ob diese online, in einem automatisierten Verfahren, mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt werden können. Schon die nötige Identitätsprüfung des Users ist online – aller Video-Checks zum Trotz – in den Augen von Rechtsprofi Preuschl sehr problematisch.
Unterm Strich gehe es also nicht nur um technische Lösungen, sondern auch um die rechtliche Dimension. Manches wird, den lautstarken Prophezeiungen der Legal Tech-Anbieter zum Trotz, vielleicht nie kommen.
Der automatische Vertrag?
Doch das heißt nicht, dass sich nicht viel ändern wird: Einfachere Lösungen wie die (teil-)automatisierte Erstellung des Kaufvertrags für eine Eigentumswohnung sind schon in relativ kurzer Zeit möglich. Schon in fünf Jahren könnte da einiges auf dem Markt sein – und diese Entwicklung könnte dann auch einen entsprechenden Preisverfall auslösen, meint Preuschl. Doch bei komplexen Themen – etwa Immobilientransaktionen inklusive der nötigen Umwidmungsverfahren von Grundstücken – sieht die Sache ganz anders aus; per Knopfdruck werden diese sich wohl auch in 20 Jahren noch nicht erledigen lassen.
Dabei spielt auch die Größe des Marktes eine wichtige Rolle. Eine hochkomplexe Legal Tech-Lösung für einen kleinen Rechtsmarkt wie Österreich zu entwickeln, rechne sich, auch wenn es technisch möglich ist, betriebswirtschaftlich noch lange nicht.
Tatsächlich sehe man diesen Effekt deutlich an jenen Legal Tech-Produkten, die heute bereits erfolgreich auf dem Markt sind: Dazu gehören Online-Portale, die die Fluggastrechte aus Flugverspätungen aufkaufen und gegen die Fluglinien zur Geltung bringen. Das geht deshalb, weil die Regeln nicht nur einfach, sondern vor allem auch EU-weit standardisiert sind. „Diese Portale erhalten viel Aufmerksamkeit, aber man darf nicht vergessen dass es sich dabei nur um einen kleinen Bruchteil des gesamten EU-Schadenersatzmarktes handelt“, so Preuschl.
Ein weiteres bereits bestehendes Betätigungsfeld ist die Begleitung des Unternehmenserwerbs. Bei der Due Diligence können Anwälte schon seit längerem auf immer ausgefeiltere Instrumente zurückgreifen, die allerdings nicht die Wirtschaftsanwälte überflüssig machen, sondern die gewaltigen Dokumentenbestände des Kaufobjekts möglichst gründlich analysieren helfen sollen.
Diese Instrumente gibt es, sie werden eingesetzt – aber eine Anpassung auf alle Besonderheiten des österreichischen Markts wäre auch hier eine komplexe und teure Aufgabe für relativ wenig zahlende Nutzer. Und Fehler darf es dabei keinen geben, denn wer etwa übersieht, dass in Österreich bei einem Verkauf des Unternehmens der Mietzins der Geschäftsräumlichkeiten durch den Vermieter angepasst (d.h. erhöht) werden darf, der brockt dem Käufer unversehens schwere finanzielle Lasten auf.
Die Hürden
Eine weitere menschliche Domäne seien Vertragsverhandlungen, die Verhandlung vor Gericht oder auch die Ermittlung von Sachverhalten. Oder auch Themen, bei denen es Mandanten typischerweise sehr darauf ankommt, ein vertrauenswürdiges (menschliches) Gegenüber zu haben – etwa Preuschls eigenes hauptberufliches Arbeitsfeld, das Wirtschaftsstrafrecht. Die Zeit, da ein Topmanager unter dem Eindruck eines Haftbefehls lieber eine Legal Tech-App einschaltet als den anwaltlichen Spezialisten, dürfte noch auf sich warten lassen.
Freilich bedeutet all das nicht, dass nicht doch einige Entrepeneure den Anwälten mit neuen Lösungen auf den Pelz rücken. Dem stehen jedoch einige Hürden entgegen, die laut Preuschl nicht zu unterschätzen sind.
So gilt zunächst einmal: Entgeltlicher Rechtsrat ist vom Gesetz her in Österreich wie in anderen Ländern grundsätzlich den Anwälten vorbehalten – wovon es nur wenige Ausnahmen gibt, etwa was Berufsgruppen wie Steuerberater (in Steuerfragen), oder in Österreich die Arbeiterkammern (in Arbeitsrechtsverfahren) betrifft. Unbefugte machen sich der Winkelschreiberei schuldig.
Eine eigene Arbeitsgruppe der Rechtsanwaltskammern wacht darüber, dass die Befugnisse des Berufsstands hier verteidigt werden. Bis jetzt hatte sie es vor allem mit Verstößen „sozusagen im analogen Bereich“ zu tun, sagt Preuschl: Die Bandbreite reicht von Juristen, denen die Anwaltszulassung fehlt, bis zu dubiosen „Aufenthaltsrechts-Verkäufern“ für Migranten. In gravierenden Fällen gehe man mit UWG-Klage und Unterlassungsanspruch dagegen vor.
Sollten im Online-Bereich Entwicklungen abzusehen sein, wo das Anwaltsprivileg – oder auch die Sicherheit der User – durch Legal Tech-Angebote gefährdert werden, dann will die Kammer einschreiten. Im großen Stil rechne man aber nicht damit: Eine Flut der Robo-Anwälte sei in Österreich wohl nicht zu erwarten. Schon angesicht der vielen vorzunehmenden Checks mache das jetzige österreichische Regelwerk es ambitionierten Legal Tech-Lösungen schwer.
Wohl seien einzelne Initiativen – mit eher beschränkten Erfolgsaussichten – zu erwarten, doch der Trend, den Österreichs Anwälte sehen, sieht anders aus: Große Online-Plattformen entstehen bis jetzt vor allem dort, wo die Gesetzeslage schwammig und / oder die Berufsvertretung der Anwälte schwach ist, sagt Preuschl. Daher erwartet er Online-Rechtsberatung viel eher für ländliche Regionen in den USA – wo es im Gegensatz zu den Städten wenige Anwälte gibt und das Berufsrecht locker ist – als für Österreich.
Die neue Kommunikation
Allerdings sind die Anwälte selbst durchaus interessiert daran, die Digitalisierung voranzutreiben – dort, wo sie im eigenen Haus Vorteile bringt. Dabei geht es ihnen einerseits um die neuen Möglichkeiten der sicheren digitalen Kommunikation mit Klienten – und andererseits um bessere Online-Verbindungen mit Justiz und Behörden.
Beschweren können sich die Anwälte nicht, denn Österreich war Vorreiter beim elektronischen Akt. Das soll nun ausgebaut werden. „Der nächste Ausbauschritt, nach der elektronischen Kommunikation mit den Gerichten, ist die mit den Verwaltungsbehörden“, sagt Preuschl. Dabei hoffe man auch auf den elektronischen Akt in Strafsachen und den digitalen Zugriff auf die Polizei- und Verkehrsunfallakten. „Letzteres wurde uns jetzt erneut versprochen, wir hoffen sehr darauf, weil das für viele Kolleginnen und Kollegen eine wirkliche Erleichterung in der täglichen Arbeit wäre.“
Angst davor, mit weiteren Digitalisierungsschritten so heftige Probleme zu erleiden wie gerade die deutschen Kollegen – Stichwort „Besonderes elektronisches Anwaltspostfach“ (beA) – hat Preuschl übrigens nicht. Das beA soll in Deutschland im Herbst erneut an den Start gehen – nachdem es zuvor wegen gravierender technischer und Sicherheitsbedenken abgeschaltet werden musste.
Natürlich zeige es sich, dass „es sehr schwierig ist, eine solche Lösung 100% sicher einzuführen, noch dazu unter großem Tempo“, sagt Preuschl. Dazu kommt, dass es in Österreich sowohl in absoluten Zahlen wie im Verhältnis zur Bevölkerung wesentlich weniger Anwälte gibt als in Deutschland – was geringere Belastungen für die IT-Systeme bedeutet.
Doch den Hauptgrund dafür, dass in Österreich die seinerzeitige Einführung des elektronischen Anwaltspostfachs geklappt hat, sieht Preuschl in der Tatsache, dass man „alle Stakeholder von vornherein an Bord geholt hat – inklusive der Anwälte“. Auch die Grundsatzentscheidung, das Hosting durch das Bundesrechenzentrum durchführen zu lassen, habe zur Zuverlässigkeit zweifellos beigetragen – auch wenn das ein Weg ist, den die deutschen Kollegen aus grundsätzlichen Erwägungen wohl nicht gehen würden.