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Bildung & Uni, Nova, Recht

175 Jahre Parla­ments­steno­grafen: Steno müssen sie nicht mehr können

Nationalratssaal ©Parlamentsdirektion / Hertha Hurnaus

Wien. Auch im renovierten Parlament sitzen sie nahe dem Rednerpult: Die Parlamentsstenografen. Ihr Job bleibt wichtig – Steno (Kurzschrift) müssen sie aber nicht mehr können.

Österreichs Parlament feiert heuer 175 Jahre Stenographisches Protokoll: Auch im wiedereröffneten Parlamentsgebäude sitzen die Parlamentsstenografen und Parlamentsstenografinnen in der Mitte des Plenarsaals rechts und links vor dem Rednerpult – ausgestattet wie eh und je mit Block und Bleistift. Die Beherrschung der Kurzschrift (Steno) ist freilich kein Muss mehr – aber dazu kommen wir noch.

Zunächst zur Hauptfunktion der Parlamentsstenograf:innen, so wie sie schon Theophil Hansen, der Architekt des Parlamentsgebäudes, klar im Blick hatte: Hansen wollte, dass durch die sichtbare Anwesenheit der Schreiber im Saal deutlich wird, dass das Geschehen in den Plenarsitzungen protokolliert und veröffentlicht wird.

Auch Zwischenrufe werden verewigt

Im Sitzungssaal mitgeschrieben wird heute vor allem das, was nicht auf den Aufnahmen zu hören ist, schildert die Parlamentskorrespondenz: Zwischenrufe und von wem sie kommen, wer Beifall spendet, was auf hochgehaltenen Tafeln steht oder welche anderen Gegenstände im Zuge der Debatten verwendet werden.

Während ein:e Parlamentstenograf:in noch im Nationalratssaal ist, wird die Aufnahme im Hintergrund schon transkribiert. Nach jeweils zehn Minuten wird die Parlamentsstenografin oder der Parlamentsstenograf im Sitzungssaal abgelöst. Der sichtbare Teil der Arbeit ist erledigt. Erst dann beginnt der größere, verborgene Teil, die Ausarbeitung des Stenographischen Protokolls.

Stift oder Stream ist nicht wichtig

Rund 16.000 Seiten jährlich werden so von der Leiterin der Parlamentsstenograf:innen Bettina Brixa und ihrem Team für die Öffentlichkeit erstellt. Doch welche Rolle haben Stenographische Protokolle in Zeiten von audiovisuellen Medien und automatisierter Spracherkennung? Warum gibt es Parlamentsstenograf:innen nach 175 Jahren immer noch, während andere ähnlich alte Berufe längst ausgestorben sind und auch sonst nirgends mehr stenografiert wird?

„Wenngleich der Prozess der Herstellung und der Verbreitung der Stenographischen Protokolle durch technische Entwicklungen kleineren und größeren Änderungen unterlag, ist das Ziel dasselbe wie vor 175 Jahren: Öffentlichkeit und damit Teilhabemöglichkeit am demokratischen Prozess herzustellen. Unser digitales Aufzeichnungssystem kann zwar alles aufnehmen, was in der Nähe eines Mikrofons gesprochen wird, aber zum Beispiel keine Zwischenrufe aus dem Plenum oder von der Regierungsbank“, sagt Bettina Brixa, die Leiterin der Parlamentsstenograf:innen.

Strukturierte Textdokumente stellen dabei – Stichwort Data Governance – eine wichtige Basis nicht nur im Zusammenhang mit Barrierefreiheit, sondern auch im Hinblick auf eine spätere Verwendung dar. Sie können leicht durchsucht und weiterverarbeitet werden, was nicht nur für die interessierte Öffentlichkeit, sondern insbesondere für Medien und Wissenschaft von Bedeutung sei.

Ein neues Spracherkennungssystem kommt

Die Entwicklung der Stenografie ist eng mit der Geschichte des Parlamentarismus in Europa verwoben. Die Geburtsstunde des Stenografenbüros in Österreich fällt nämlich mit der Eröffnung des Reichstages, also das erste gewählte Parlament Österreichs, in der Winterreitschule der Hofburg im Juli 1848 zusammen.

Bereits in den ersten Tagen der Revolution 1848 wurde in der Zeitschrift „Der Humorist“ am 23. März der Ruf laut: „Stenographen herbei! […] Die Reichsstände werden bald ihre Sitzungen eröffnen, das Wort muß im Flusse der Rede aufgenommen und fixirt werden für die Presse, die Stenographie ist ein Bedürfnis, eine Nothwendigkeit der Zeit, des Lebens. […] Stenographie ist die Eisenbahn, welche vom Munde auf’s Papier führt; sie ist ein integrirender Theil des politischen Lebens, das bei uns wach geworden.“

Im Jahr 1848 war die Stenografie eine hochmoderne Errungenschaft. In den folgenden 175 Jahren gab es immer wieder einschneidende technische Entwicklungen, welche die Arbeit der Parlamentsstenograf:innen veränderten: von der Einführung der Schreibmaschine ab 1920 (Wegfall des Übertragens der Stenogramme in Kurrentschrift) über die Verwendung von Audioaufzeichnungen ab 1960 (als zusätzliches Hilfsmittel) und der Anschaffung von Kopierern 1968 (unbegrenzte Vervielfältigung) bis hin zum Umstieg auf Computer sowie Textverarbeitungsprogramme Mitte der 1990er-Jahre und die Entstehung des World Wide Web.

Letzteres ermöglichte auch eine einfache Verbreitung der Protokolle – seit 1996 wird das Gesamtprotokoll, seit 2002 auch das Vorläufige Protokoll auf dem Webportal des Parlaments zur Verfügung gestellt, seit 2018 innerhalb eines Tages.

Ein moderner Parlamentsstenograf muss nicht Steno können

Durch die technischen Veränderungen sind für die Arbeit als Parlamentsstenograf:in Stenografiekenntnisse kein ausschlaggebendes Kriterium mehr. Im Vordergrund steht heute das Redigieren der Reden, weshalb Stenograf:innen in erster Linie Lektoratskompetenzen aufweisen müssen, wie Brixa erklärt.

Der nächste Schritt ist die Implementierung eines sprecher:innenunabhängigen Spracherkennungssystems, weshalb im November mit anderen deutschsprachigen Parlamenten und Landtagen eine „Fachtagung Spracherkennung“ im Parlament stattfand. „Entscheidend ist, dass solche neuen Systeme sinnvoll in bestehende Prozesse eingefügt werden, damit die Automatisierung von Arbeitsschritten auch tatsächlich einen Effizienzgewinn und keinen Mehraufwand bedeutet. Der Bedarf an interdisziplinärer und internationaler Vernetzung ist jedenfalls groß, da alle gerade vor ähnlichen Herausforderungen stehen“, so Bettina Brixa.

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