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Business, Nova, Recht

Als Leipzig das deutsche Shenzen war

Bootstour auf dem Karl-Heine-Kanal ©Andreas Schmidt

Start-ups, anno dazumal. 2019 wird Karl Heine 200 Jahre alt: Der Anwalt und spätere Unternehmer startete in Plagwitz (Leipzig) eines der ersten planmäßig angelegten Industriegebiete Europas. Heute ist es ein gigantisches Freiluft-Denkmal auf 90 Hektar.

Konkret entstand auf Initiative von Karl Heine das erste planmäßig entwickelte, großräumige Industriegebiet Deutschlands. Heute ist das Gelände im Leipziger Stadttteil Plagwitz ein 90 Hektar großes Flächendenkmal der Industriearchitektur, wo Touristen imposante Industriebauten vergangener Zeiten bestaunen können. Kreativzentren, Museen und Lofts sind an die Stelle der Fabriken getreten. Und das ist auch der Grund dafür, warum nicht das deutsche Wirtschaftsministerium, sondern die Leipziger Tourismusbetriebe auf das Jubiläum aufmerksam machen.

Zu Heines Ehren finden 2019 in Leipzig zahlreiche Feierlichkeiten statt, schließlich, so die Honoratioren der Stadt, sei die deutsche Wirtschaftsgeschichte eng mit Karl Heine und der Geschichte des Stadtteils Plagwitz verbunden.

Ein Industriegebiet wird geplant

Unternehmer Karl Heine wurde am 10. Jänner 1819 in Leipzig als Sohn eines Kaufmanns und Rittergutsbesitzers geboren. Er studierte nach dem Besuch der Thomasschule an der Universität Leipzig Rechtswissenschaften und promovierte 1843 zum Dr. jur. Der Titel seiner in lateinischer Sprache verfassten Dissertation lautet übersetzt: „Über die wirtschaftliche Nutzung von Wasserwegen und deren Ufer nach sächsischem Landesrecht“.

Mit Unterstützung seiner vermögenden Mutter erwarb der junge Rechtsanwalt ab 1854 im großen Stil Grundbesitz im damaligen Dorf Plagwitz. Heine erkannte das Potenzial, dass das Gelände im Leipziger Westen bot. Schon früh zeigte sich Heine von der damals noch revolutionären Eisenbahn sowie der wirtschaftlichen Nutzung von Wasserwegen begeistert. So gilt der 1873 eröffnete Bahnhof Plagwitz-Lindenau, der noch heute erhalten ist, als erster Industriebahnhof Europas.

Ein Kanal von Sachsen bis zur Nordsee?

Auch die Kombination von Wohnquartieren und Arbeitsstellen in Plagwitz war neu und verhalf der Industrie zum Aufbruch. Heines Visionen ermöglichten den Bau des heutigen Karl-Heine-Kanals, der zur Schaffung einer Schifffahrtsstraße von Leipzig nach Hamburg führen sollte. Ziel war es, die in Leipzig produzierten Industriewaren über den Hamburger Hafen weltweit abzusetzen.

1898 wurde das vorerst letzte Teilstück eröffnet, welches kurz vor dem Lindenauer Hafen endete. Über den – viel späteren – Durchstich des 3,3 Kilometer langen Karl-Heine-Kanals zum Lindenauer Hafen am 2. Juli 2015 hätte sich der Visionär dann bestimmt gefreut, heißt es. Zwar wurde mit der jüngsten Wasserstraße Heines Traum „von der Elster an die Alster“ noch nicht verwirklicht, jedoch rückte mit dem um 665 Meter verlängerten Kanal Leipzig näher an die Nordsee heran.

Karl Heine starb am 25. August 1888 in seiner Villa in Schleußig. 1897 erhielt er ein Denkmal, entworfen von Bildhauer Carl Seffner. Doch für sein Industriegebiet wurden die Zeiten bald schlechter. Auf Rüstung und Krieg folgten Aktienspekulation, wirtschaftlicher Verfall, ein neuer Krieg und dann die sozialistische Planwirtschaft.

Mit der Mauer fallen 90.000 Arbeitsplätze

Nach der Wende 1989 erfolgte endgültig der Niedergang: Wie so häufig kamen die Unternehmen der Ex-DDR auch in Plagwitz mit den neuen Zeiten nicht zurecht. Die Betriebe vor Ort wurden liquidiert, die Bevölkerung wanderte ab und es kam zu hohem Leerstand. Über 90.000 Industriearbeitsplätze gingen in Leipzig verloren, davon ein großer Teil im – ab diesem Zeitpunkt ehemaligen – Industriegebiet Plagwitz.

Nun waren abermals Visionen gefragt. Eine neue Gründerzeit sollte kommen: Die Stadt Leipzig startete mit Investoren ein neues Aufbauprogramm. Diesmal sollten Touristen statt Fabrikanten für den Aufschwung sorgen. Die Baudenkmäler sowie die Gewässer und Gleisbogen, die in ihrer Gesamtheit das besondere Ambiente von Plagwitz ausmachen, wurden renoviert und rekonstruiert. In ehemaligen Fabrikhallen entstanden Lofts und Gewerberäume. Zahlreiche Unternehmen, vor allem aus der Kreativ-Branche, siedelten sich in Plagwitz an.

Auf Arbeiter folgen Künstler

So ist die ehemalige Leipziger Baumwollspinnerei heute ein international bekanntes Zentrum für kunstinteressiertes Publikum und kreative Heimat für Künstler. Eine weitere touristische Attraktion ist das „Da Capo – Eventhalle und Oldtimermuseum“. In der restaurierten Fabrikhalle, die Landmaschinenfabrikant Rudolf Sack 1895 erbauen ließ, befindet sich eine der größten Sammlungen amerikanischer Oldtimer.

Einige hundert Meter weiter steht das „Kunstkraftwerk Leipzig“: Das ehemalige Heizkraftwerk hat sich seit 2016 in ein Zentrum für digitale Kunst und Kultur verwandelt, inklusive größtem immersiven Videoprojektionssystem Deutschlands.

Mit dem Boot durch Plagwitz

Am besten kann Leipzigs versunkene Industriearchitektur vom Boot aus betrachtet werden, heißt es bei den Touristikern: Ein beliebter Ausgangspunkt ist der Leipziger Stadthafen, 600 Meter vom Innenstadt-Ring entfernt (dank eines pfiffigen italienischen Wirts sogar mit eigens importierten venezianische Gondeln). Zu den Veranstaltungen gehören dann im Sommer u.a. das „Kunst-Markt-Fest“ (22. 6. 2019), das „Wasserfest“ (16. – 18. 8.) und die „Tage der Industriekultur“ (22. – 25. 8).

Der 200. Geburtstag von Karl Heine ist gleichzeitig auch der Startschuss für das „Jahr der Industriekultur 2020“ in Sachsen, das der Freistaat ausgerufen hat. Im Jahr der 4. Sächsischen Landesausstellung (25. 4. – 1. 11. 2020) werden unter diesem Dach industriekulturelle Aktivitäten durchgeführt und vermarktet. Das Motto erinnert ebenfalls an vergangene Zeiten: „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt…“

 

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